Die neue deutsche
Rechtschreibung

Jede Veränderung schafft zunächst einmal Unruhe, zwingt zur Überprüfung hilfreich gewordener Routinen, wirft Fragen auf. Um Antworten auf solche Fragen geht es im Folgenden.
  • Wozu überhaupt eine Neuregelung für unsere Rechtschreibung?
  • In wessen Auftrag wurde an einer Reform gearbeitet?
  • Wer steht wissenschaftlich hinter der Regelungsarbeit?
  • Wen bindet die neue Rechtschreibregelung?
  • Welchen Zielen sind die Veränderungen in der Schreibung verpflichtet?
  • Worum geht es bei der Neuregelung?
  • Das Unbehagen an der deutschen Rechtschreibung.


Wozu überhaupt eine Neuregelung für unsere Rechtschreibung?

Die deutsche Rechtschreibung hat sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt, nicht regellos, aber auch nicht einem systematischen Konzept folgend. Einheitlichkeit in der Schreibung gibt es im deutschen Sprachraum erst seit der Rechtschreibkonferenz von 1901 bzw. seit der an sie anschließenden amtlichen Regelung der Schreibung durch die Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz im Jahre 1902. Diese Einheitlichkeit, die heute weitgehend durch den Duden (Band1: Rechtschreibung der deutschen Sprache), in Österreich auch durch das Österreichische Wörterbuch gesichert wird, ist 1901 über Kompromisse unter konkurrierenden Regelungen und Schreibvarianten zustande gekommen – oft auf Kosten von Systematik und Einfachheit. Und manches, was an Entscheidungen in der Zeit danach (vor allem durch Einzelfallregelungen) hinzugekommen ist, hat die Erlernbarkeit der Rechtschreibung eher erschwert als erleichtert. Man schreibt nach der herkömmlichen Regelung zum Beispiel als Ganzes gesehen, aber im ganzen gesehen, oder beim Bisherigen bleiben, aber beim alten bleiben. Wir trennen zum Beispiel Metall-urg, aber Drama-turg. In dem Satz Ich versuchte(,) das Gerät zu reparieren kann ein Komma gesetzt werden, in dem Satz Ich habe versucht, das Gerät zu reparieren ist das Komma obligatorisch, in dem Satz Ich habe das Gerät zu reparieren versucht darf dagegen kein Komma stehen. Wie die Dinge liegen, sind selbst geübte Schreiber nicht immer in der Lage, allen Feinheiten der deutschen Rechtschreibregelung gerecht zu werden. Hier liegt der Grund dafür, dass in angemessenen Abständen versucht werden muss, Systematisierungen vorzunehmen und das Regelwerk überschaubarer und leichter handhabbar zu machen.

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In wessen Auftrag wurde an einer Reform gearbeitet?

Nach Einführung der einheitlichen Rechtschreibung im deutschen Sprachraum 1902 hat es immer wieder Versuche gegeben, die Einheitsschreibung zu verbessern – im Durchschnitt einen pro Jahr; keiner von ihnen war erfolgreich. Die jetzt vorgelegte Neuregelung wurde in den 70er-Jahren durch Arbeitskreise in Berlin/Rostock und in Mannheim vorbereitet. Die Arbeit erfuhr Unterstützung auf der politischen Ebene: Zwei Konferenzen, zu denen die österreichische Bundesregierung eingeladen hat und auf denen Vertreter aus fast allen Gebieten, in denen Deutsch gesprochen wird, zusammengekommen sind, waren hier von besonderer Bedeutung: die »1. Wiener Gespräche« von 1986 und die »2. Wiener Gespräche« von 1990.


Die wichtigsten Ergebnisse der ersten Konferenz von 1986 fasst die Abschlusserklärung folgendermaßen zusammen:

Grundsätzliches Einvernehmen wurde darüber erzielt, die auf der Orthographischen Konferenz von 1901 in Berlin erreichte einheitliche Regelung der deutschen Rechtschreibung den heutigen Erfordernissen anzupassen. Insbesondere geht es darum, die in vielen Teilbereichen der Rechtschreibung im Laufe der Zeit kompliziert gewordenen Regeln zu vereinfachen. Die Teilnehmer würdigten die umfangreichen wissenschaftlichen Arbeiten in nationalen und internationalen Gruppen und bestärkten die Wissenschaftler in ihrer Absicht, in der bisherigen Weise fortzufahren. Angesichts der Vielschichtigkeit des Gesamtbereichs wurde vereinbart, in einem ersten Schritt die Bereiche Worttrennung, Zeichensetzung, Getrenntschreibung und Zusammenschreibung sowie die Laut-Buchstaben-Beziehungen einschließlich der Fremdwortschreibung zu behandeln. Erst in einem zweiten Schritt soll die umstrittene Groß- und Kleinschreibung in Angriff genommen werden.


Der 1986 eingeschlagene Weg wurde von der 2. internationalen Konferenz (1990) bestätigt, die geleistete Arbeit der Arbeitsgruppen positiv gewürdigt. So heißt es unter anderem in der Abschlusserklärung:

Die Teilnehmer der diesjährigen Konferenz stellten einvernehmlich fest, dass es sich bei den inzwischen vorliegenden bzw. sich abzeichnenden wissenschaftlichen Arbeiten zur Rechtschreibreform um den am besten durchdachten Neuregelungsvorschlag zur deutschen Rechtschreibung handelt, der seit der Orthographischen Konferenz von 1901 erarbeitet wurde. Nach Abschluss der wissenschaftlichen Arbeiten und ihrer Prüfung durch die zuständigen staatlichen Stellen soll voraussichtlich 1993 die zwischenstaatliche Meinungsbildung an einer weiteren Wiener Konferenz fortgesetzt werden. Die Unterzeichnung einer Übereinkunft zur Reform der deutschen Rechtschreibung wird für 1995 angestrebt.


Die Arbeiten an der Neuregelung haben dann doch etwas länger gedauert, als man 1990 gemeint hatte. Die »3. Wiener Gespräche« konnten erst vom 22. bis zum 24. November 1994 stattfinden. Ihr Ergebnis formuliert die Abschlusserklärung so:

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 3. Wiener Gespräche berieten die noch offen gebliebenen Fragen, wie zum Beispiel solche der Fremdwortschreibung, der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Groß- und Kleinschreibung sowie der Wortliste, die das Regelwerk ergänzt. Sie kamen in all diesen Fragen zu einvernehmlichen Lösungen, sodass nunmehr ein zwischen dem Internationalen Arbeitskreis und Vertretern aller zuständigen staatlichen Stellen der betroffenen Länder abgestimmter Neuregelungsvorschlag vorliegt, der nur noch einer gründlichen redaktionellen Bearbeitung bedarf. Die Konferenz würdigte die sorgfältigen und umfangreichen wissenschaftlichen Arbeiten. Die Ergebnisse der Beratungen werden den politischen Entscheidungsinstanzen zur Annahme empfohlen. Im Anschluss an die politische Willensbildung in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz wird die Unterzeichnung eines Abkommens für Ende 1995 angestrebt.

Das in der Abschlusserklärung genannte zwischenstaatliche Abkommen wurde dann am 1. Juli 1996 in Wien unterzeichnet.

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Wer steht wissenschaftlich hinter der Regelungsarbeit?

Die Ausarbeitung der Vorschläge zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ist – was die wissenschaftliche Seite angeht – Ergebnis einer produktiven Zusammenarbeit von Expertengruppen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Im Einzelnen waren an der Arbeit folgende Gruppen beteiligt:

  • die Kommission für Rechtschreibfragen des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim
  • die Forschungsgruppe Orthographie am Zentralinstitut für Sprachwissenschaft an der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin
  • die Wissenschaftliche Arbeitsgruppe des Koordinationskomitees für Orthographie beim Bundesministerium für Unterricht und Kunst in Wien
  • die Arbeitsgruppe Rechtschreibreform der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren in Bern.
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Wen bindet die neue Rechtschreibregelung?

Der Text der Neuregelung ist als amtliches Regelwerk konzipiert. Das bedeutet: Er ist als Grundlage für die Rechtschreibung innerhalb derjenigen staatlichen Institutionen (Schule, Verwaltung) gedacht, für die der Staat Regelungsgewalt beansprucht. Darüber hinaus wird sich natürlich die große Mehrheit der Schreibenden nach der neuen Rechtschreibung richten.

Das Regelwerk deckt den allgemeinen Wortschatz ab. Es beansprucht damit keine Gültigkeit für die Schreibung von Wörtern, für die jeweils eine besondere staatliche Einrichtung verantwortlich ist, zum Beispiel die Schreibung von Personennamen in den Dokumenten der Standesämter, die Schreibung von Orts- und Flurnamen, die behördlich festgelegt wird, sowie die Schreibung von Firmen- und Produktnamen. Nicht zum Gegenstandsbereich des Regelwerks gehören ferner Fachausdrücke bzw. fachsprachlich gebrauchte Wörter, zum Beispiel die Terminologie der Chemie oder der Medizin.

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Welchen Zielen sind die Veränderungen in der Schreibung verpflichtet?

Hauptziel der Neuregelung ist es, mehr Systematik und im Zusammenhang damit mehr Einfachheit in unsere Rechtschreibung zu bringen. Veränderungen wurden vor diesem Hintergrund unter zwei unterschiedlichen Gesichtspunkten vorgenommen: zum einen unter dem Gesichtspunkt des Inhalts, zum anderen unter dem Gesichtspunkt der Präsentation der Regeln.

Unter inhaltlichem Gesichtspunkt ging es darum, durch behutsame Änderungen die Systemhaftigkeit unserer Rechtschreibung und den Grad der Allgemeingültigkeit ihrer Regeln zu erhöhen. Damit wird die Rechtschreibung vom Schreibenden leichter zu handhaben sein, ohne dass daraus Nachteile für den Lesenden erwachsen. Die vorgelegten Änderungen bleiben im Rahmen bestehender Grundregeln der deutschen Rechtschreibung und berühren nicht den Buchstabenbestand. Sie berücksichtigen den bisherigen Entwicklungsgang der Rechtschreibung, und sie beseitigen bestimmte Fehlerquellen oder Ungereimtheiten, die sich im Lauf der Geschichte ergeben haben.

Unter dem Gesichtspunkt der Präsentation ging es darum, ein möglichst durchsichtig gegliedertes Gesamtregelwerk vorzulegen, das überschaubar, verständlich und handhabbar ist. So lässt sich beispielsweise die Kommasetzung auf nur drei Grundfunktionen zurückführen – was in den bisherigen Regelwerken kaum abzulesen war: Das Komma dient zur Abgrenzung (1) von Reihungen, (2) von Zusätzen oder Nachträgen, (3) von Nebensätzen.

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Worum geht es bei der Neuregelung?

Die Schreibung der deutschen Sprache ist (vor dem Hintergrund allgemeinerer Prinzipien) im Wesentlichen auf zwei Ebenen festgelegt: auf der Ebene der Regeln (Ebene I) und auf der Ebene der Einzelfestlegungen (Ebene II).

Zu den Regeln (Ebene I): Rechtschreibregeln sind verbindliche Handlungsanweisungen für das korrekte Schreiben, die einen größeren Problemkreis abdecken. So bestimmt beispielsweise eine Regel, dass Satzanfänge großgeschrieben werden. Wer diese Regel beherrscht, kann ohne weitere Hilfsmittel richtig schreiben, das heißt, er muss in Zweifelsfällen nicht in einem Wörterbuch nachschlagen.

Manchmal wird ein Bereich nicht von einer einzigen Regel abgedeckt, sondern von einer Gruppe von Regeln und Unterregeln, die zusammengehören. Solche Bereiche der Rechtschreibung sind etwas schwerer zu überblicken. Immerhin gilt auch hier: Wer die einzelnen Regeln und ihre Beziehungen zueinander kennt, kann ohne Hinzuziehung von Hilfsmitteln korrekt schreiben. Beispiele für eine zusammengehörende Gruppe von Haupt- und Unterregeln sind etwa die Regeln für das Setzen der Kommas und der Anführungszeichen.


Zu den Einzelfestlegungen (Ebene II): In einigen Bereichen fehlen im Deutschen verbindliche allgemeine Rechtschreibregeln. Der Grund dafür ist hauptsächlich ein historischer. Wie schon gesagt: Das System der geschriebenen deutschen Sprache hat sich über einen Zeitraum von vielen Jahrhunderten entwickelt, ohne dass dabei eine autorisierte Institution mit verbindlichen Regelungen eingegriffen hätte. Vielmehr hat sich die Schreibung allmählich von Fall zu Fall – und das heißt: nicht immer systematisch – verfestigt. Zwar ist sie auch in solchen Bereichen keineswegs völlig willkürlich, es können aber jedenfalls keine Regeln im Sinne von verbindlichen Handlungsanweisungen angegeben werden. Das bedeutet, dass der Schreibende bei Unsicherheit nachschlagen muss – zum Beispiel in einem Wörterbuch. Aufgabe von Rechtschreibwörterbüchern ist es also unter anderem, Einzelfestlegungen aufzulisten. Beispiele für solche Einzelfestlegungen finden sich vor allem im Bereich Laute und Buchstaben.

Während ihrer Arbeit an der Weiterentwicklung der deutschen Rechtschreibung waren die beteiligten Arbeitsgruppen bemüht, möglichst alle Bereiche der Rechtschreibung zu erfassen – also sowohl diejenigen, in denen verbindliche Regeln existieren (Ebene I), als auch diejenigen, wo die Schreibung einzelfallweise festgelegt ist (Ebene II). Ziel war dabei unter anderem, die Bereiche mit Einzelfestlegungen zu begrenzen, das heißt, möglichst viele Bereiche der Rechtschreibung mit verbindlichen und zugleich einfach handhabbaren Regeln abzudecken.Wo auf Einzelfestlegungen nicht verzichtet werden konnte, wurde versucht, wenigstens die vorhandenen Regularitäten übersichtlich darzustellen.

Wie die Dinge liegen, kann das Wort »Regel« nicht in jedem Fall als Regel im Sinne einer verbindlichen Handlungsanweisung aufgefasst werden; in manchen Bereichen der Rechtschreibung (zum Beispiel bei der Laut-Buchstaben-Zuordnung und bei der Getrennt- und Zusammenschreibung) steht es eher für eine be-schreibende Regularität als für eine (verbindlich) vor-schreibende Regel. Wie die wesentlichen orthographischen Bereiche geregelt werden, lässt sich der folgenden Tabelle entnehmen:

Regelbereich Ebene I:
Regeln
Ebene II:
Einzelfestlegungen
Laut-Buchstaben-Zuordnung teilweise Regeln teilweise Einzelfestlegungen
Groß- und Kleinschreibung überwiegend Regeln in einigen Teilbereichen Einzelfestlegungen
Getrennt- und Zusammenschreibung teilweise Regeln teilweise Einzelfestlegungen
Schreibung mit Bindestrich nur Regeln
Zeichensetzung nur Regeln
Worttrennung am Zeilenende nur Regeln

Wie schon angesprochen, deckt das Regelwerk nicht alle Bereiche der Rechtschreibung ab. Vieles, vor allem im Bereich der Laut-Buchstaben-Zuordnung und teilweise auch in der Getrennt- und Zusammenschreibung, ist einzeln festgelegt worden, also nicht auf allgemeine und zugleich verbindliche Regeln zurückführbar. Eine neue amtliche Rechtschreibung hat also neben dem Regelwerk auch eine Auflistung der Einzelfestlegungen zu enthalten, das heißt ein amtliches Wörterverzeichnis.

Dieses amtliche Wörterverzeichnis kann und will die bisherigen Nachschlagewerke nicht ersetzen. Es bildet vielmehr die neue, verbindlich vorgegebene Grundlage, auf der – in Weiterführung bisheriger Arbeit – auf bestimmte Benutzerkreise zugeschnittene Rechtschreibbücher und Wörterbücher erstellt werden können. Dies gilt gerade auch für die Schule. Das amtliche Wörterverzeichnis enthält daher nur die im Zusammenhang mit der Rechtschreibung minimal notwendigen Informationen. So werden grundsätzlich keine Bedeutungsangaben aufgeführt (außer zur Unterscheidung gleich lautender Wörter, zum Beispiel: Lied [Gesang] gegenüber Lid [am Auge]). Ferner enthält es keine Zusammensetzungen, außer wenn mit ihnen Probleme der Getrennt- und Zusammenschreibung oder der Groß- und Kleinschreibung verbunden sind.

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Das Unbehagen an der deutschen Rechtschreibung

Das Unbehagen an der Rechtschreibung – es wird mit der Neuregelung sicherlich nicht gänzlich schwinden – hängt mit zwei Problemkreisen zusammen, die man in der Diskussion auseinanderhalten sollte: Zum einen geht es um die Rechtschreibung selbst, um das System der orthographischen Normen, zum anderen um den Umgang mit der Rechtschreibung (in Schule und Öffentlichkeit). Das sind zwei sehr verschiedene Dinge – und Lösungen für die unterschiedlichen Probleme ergeben sich nicht aus der gleichen Quelle. Die Rechtschreibreform kann nur den ersten Problembereich angehen; auch nach ihrer Einführung bleiben Aufgaben, solche, die mit dem zweiten zusammenhängen, Aufgaben vor allem für die Schule, aber auch für eine weitere Öffentlichkeit. Auch in Zukunft muss daran gearbeitet werden, zu einer vernünftigen Einschätzung der Rechtschreibung zu gelangen, sie als ein Mittel zur Erleichterung der schriftlichen Kommunikation zu betrachten und die Überbewertung von Rechtschreibfehlern abzubauen.

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